Mittwoch, 22. Januar 2014

Lust auf´s Leben

Wenn ich einmal eine alte Frau bin, werde ich Purpur tragen,
Zusammen mit einem roten Hut, der nicht dazu passt und mir nicht gut steht.
Und ich werde meine Rente ausgeben für Cognac und Sommerhandschuhe
Und Sandalen aus Satin.
Und ich werde sagen:”Für Butter haben wir kein Geld.”

Ich werde mich auf den Bürgersteig setzen, wenn ich müde bin,
Und Gratisproben in den Geschäften verschlingen
und Alarmglocken läuten
Und meinen Stock gegen die Zäune der öffentlichen Anlagen klappern lassen
Und Schluss machen mit der Angepasstheit meiner Jugend.
Ich werde in meinen Hausschuhen in den Regen rausgehen
Und Blumen pflücken, die in anderer Leute Gärten wachsen,
Und lernen zu spucken.

Man kann dann die schrecklichsten Blusen tragen und richtig dick werden
Und drei Pfund Würstchen auf einmal aufessen,
Oder eine Woche lang sich von Brot und sauren Gurken ernähren,
Und Bleistifte und Kulis und Bierdeckel und anderen Kleinkram horten.
Aber jetzt müssen wir vernünftige Kleider haben, die uns trocken halten,
Und unsere Miete zahlen und keine Schimpfwörter auf der Straße benutzen
Und gute Vorbilder für die Kinder sein.

Wir müssen Freunde zum Essen einladen und die Tageszeitung lesen.
Aber sollte ich vielleicht nicht jetzt schon ein bisschen üben?
Damit die Leute, die mich kennen, nicht zu schockiert und überrascht sind
Wenn ich plötzlich alt bin und anfange, Purpur zu tragen.

© im englischen Original Jenny Joseph 
(Übersetzung: Claudia Schumann)

4 Kommentare:

  1. Hallo liebe Pia,
    ich kenne sowas ähnliches mit einem lila Hut. Aber eigentlich stimmt mich das Gedicht in zweierlei Hinsicht eher traurig: erstens ist es doch schade, dass wir uns in jungen Jahren immer angepasst geben müssen und zweitens ist es inzwischen schon soweit, dass das im Prinzip auch für's Alter gilt. Wer will heute noch als "verrückte Alte" durchs restliche Leben gehen, wer schert sich nicht darum, wenn er im fortgeschrittenen Alter plötzlich zulegt und nicht mehr fit ist . . . ?
    Das erinnert mich daran, dass ich früher oft gedacht habe, wie gut es in die alten Frauen in Schwarz haben, die ich im sonnigen Süden (Südfrankreich) oft vor ihrer Haustür habe sitzen sehen, ein Schwätzchen mit den Nachbarn haltend und den Lebensabend an sich vorbeiziehen lassend. Vermutlich gibt es die heute auch nicht mehr, und eigentlich möchte ich gar nicht so sein. Aber ein bisschen mehr Gelassenheit im Alter, das sollte man sich aneignen.
    Herzliche Grüße
    Elke

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  2. Oh ja, ein klein bischen üb ich da jetzt schon, wenn ich mein Strickzeug auf Besuch mit nehme, lach!
    Lieben verrückten Gruß
    von Ariane

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  3. Liebe Pia,

    nun bin ich ja jetzt schon eine "verrückte Alte", die seit gut 5 Jahren macht, was sie Lust hat. Leider war ich aber auch in jüngeren Jahren immer wenig angepasst und habe immer schon gesagt, was ich dachte. Das ist nicht sehr gerne gesehen in unserer Gesellschaft. Was in unserer Gesellschaft jedoch gerne gesehen wird, oder der Trend ist, tangierte mich und tangiert mich auch heute leider oder zum Glück ziemlich peripher.

    Selber glaube ich, dass man nie zu angepasst sein sollte, doch sollte man das Taktgefühl wahren anderen gegenüber. Ansonsten mache ich was ich will. Meine 93jährige Schwiegermutter gehörte auch einmal zu den schwarzgekleideten Damen, seit ein paar Jahren kleidet sie sich ziemlich flott. Ich find's toll. Auch wenn ich weder schlimme Blusen trage, noch 3 Pfund Würstchen je essen würde.

    Das Gedicht gefällt mir ausnehmend gut, denn alle würden wohl gerne schon in jungen Jahren tun, was sie wollen und sich um nichts scheren.

    Liebe Grüße, Brigitte

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  4. Liebe Pia,
    ich glaube, ich kann mich zu denen zählen, die sich das schon in jüngeren Jahren leisten wollten/konnten. Denn wenn Frau einen Heimarbeitsjob ohne äußerliche repräsentative Verpflichtungen hat, der Angetraute es ebenfalls eher bequem liebt, beide sich mit einer Art Außenseiter-Dasein abgefunden haben, und sich im Laufe der Jahre immer mehr Gleichgesinnte anfinden, dann traut man sich manches auch schon früher. Allerdings stimme ich Brigitte zu, dass das nicht auf Kosten anderer gehen sollte ...
    LG Silke

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